Mittwoch, 26. März 2014

Weltentrennung

Immer wieder kommt es zu Äußerungen welche virutelle und reale Welten betreffen. Besonders häufig kommen diese Äußerungen im Zusammenhang mit Politik. Da alles, was im Netz vor sich geht als virtuell betrachtet wird und diese Welt strikt von der Realität getrennt wird, werden Bemühungen, Digitales in die Politik zu integrieren häufig belächelt. So wirklich kann ich mit dieser Trennung nichts anfangen.  Zum Einen hab ich Probleme mit der Begrifflichkeit "Realität", zum anderen verstehe ich nicht, weshalb Virtuelles nicht real sein kann. Ein weiterer Punkt betrifft die Trennung selbst.

In der Übersetzung ist Realität die Wirklichkeit und als solche nicht von den Wünschen und Überzeugungen von Individuen abhängig.
Nun ist es aber so, dass die definierte Realität durchaus vom individuellen Wahrnehmungsvermögen abhängt. Selbst wenn ich als Realität nur das annehme, was wissenschaftlich erweisen ist, so bleibt es nur so lange real, bis es widerlegt ist und von einer neuen Realität ersetzt wird.
Das Wahrnehumgsvermögen eines Menschen bildet sich unter anderem aus der Sozialisierung, Erfahrung und Sprache. Dinge, die in der Erfahrung und Sprache eines Menschen nicht vorkommen, können auch schlecht in dessen Wahrnehmung vorhanden sein.
Auf der anderen Seite werden Dinge aufgrund derselben Dinge als real angenommen, obwohl sie soziale Konstrukte sind. Zu diesen Dingen gehören Landesgrenzen, Nationalitäten, Ehen, Blutsverwandtschaften, Eigentum, Farben und vieles mehr.

Virtuell hingegen definiert sich als scheinbar und nicht real/physisch vorhanden. Häufig wird der Begriff im Zusammenhang mit Onlinemedien benutzt, welche Welten konstruieren, die "nur" in bestimmten Spielen exisiteren oder auf virtuelle soziale Netzwerke in welchen Kontakte unabhängig von realen Gegebenheiten existieren. Es mag durchaus sein, dass die virtuellen Gegebenheiten sich nicht (immer) in den realen widerspiegeln, aber dennoch sind beide miteinander vernetzt und lassen sich nicht so leicht unabhängig  voneinander betrachten.
Die Trennung ist aus mehreren Gründen problematisch.
Zum Einen ist Realität etwas höchst Subjektives und zum anderen ist das sogenannte reale Leben in hohem Maße von Digitalem durchzogen. Damit meine ich nicht nur die Präsenz von vielen Menschen in virtuellen sozialen Netzwerken, sondern unter anderem auch die Wege von Geld. 
Die virtuelle Präsenz von Menschen muss nicht unbedingt der außervirtuellen entsprechen und kann dieser auch vollkommen entgegenstehen. Auch werden virtuelle Persönlichkeiten in sozialen Netzwerken häufig ohne eine Entsprechung in der Realität zu haben. Insofern ist es nachvollziehbar, beides voneinander trennen zu wollen. Allerdings spiegelt eine strikte Trennung häufig keine tatsächliche Trennung wider. In einigen sozialen Netzwerken wie Facebook basieren die digitalen Kontakte auf "echten" Begegnungen, so auch die Kommunikation zwischen den Beteiligten. Auf anderen sozialen Netzwerken wie Couchsurfing oder Karrierenetzwerken wie Xing in werden digital Kontakte geknüpft werden, die sich in der Realität wiederfinden sollen. In beiden Fällen ist es zwar möglich, rein fiktive Personen zu entwerfen, aber auch in diesem Fall haben die Handlungen von fiktiven Personen Auswirkungen auf die Menschen, mit denen sie interagieren und sind reales Mittel der Kommunikation und Handlung ihrer Schöpfer. Ein weiterer wichtiger Punkt für eine Überschneidung ist virutelles Mobbing, was enorme Auswirkungen auf die Lebensrealität von Betroffenen hat.
Im Fall von Online-Spielen werden zwar Realitäten entworfen, die nicht in da zu verorten sind, wo der Rest der Gesellschaft sich gerade befindet, aber auch da sind Überschneidungen zwischen virtuell und real zu finden. Zum Einen orientieren auch diese Welten sich am Vorstellungsvermögen der Schöpfer und spiegeln damit Teile der Realität wider, zum anderen agieren in diesem Spielen reale Menschen, die sich mitunter auch real zum Spielen oder auf Conventions treffen. Auch werden durch die vielfältige Interaktion und schnelle Perspektivenwechsel im Onlinespiel ganz reale Fähigkeiten geschult.
Interessant ist auch die Betrachtung von Geld. Zwar verbringt man einen nicht unerheblichen Teil seines Lebens damit, es zu verdienen und benötigt es, um ganz reale Bedürfnisse zu befriedigen allerdings steht sein Wert in ziemlich fiktivem Verhältnis zu den Bewerteten Tätigkeiten und Gütern. Auf welcher Logik, basieren sonst die unterschiedlichen monetären Bewertungen von Arbeit und Gütern?

Da beide Sphären sich in vielen Punkten überschneiden und in Wechselwirkung stehen, halte ich eine strikte Trennung von virtueller und realer Welt für fiktiv. Die gegenseitige Durchdringung von beidem und die wachsende Bedeutung von sozialen Medien als Interaktionsplattformen und die Auswirkungen der zugehörigen Technologien auf das Leben von Menschen sollten Grund genug sein, dieses Thema ernsthaft in den gesellschaftlichen Diskurs zu integrieren. Wer selbst auf Twitter unterwegs ist, bloggt oder Blogs liest hat vermutlich den Eindruck, dass dem länst so ist - aber eine sehr komplexe und vielfältige Realität bedeutet auch, dass jeder in seiner eigenen Wahrnehmungsblase ist. Gespräche mit Menschen, die sich weniger intensiv mit den Möglichkeiten des Internets befassen zeigen, dass die Ausweitung der Realität auf das Virtuelle sehr geringen Raum im Diskurs hat. Das liegt unter anderem an der Art, wie gesprochen wird. Entweder wird digitale Kommunikation lächerlich gemacht, oder in einer Sprache gesprochen, die von den Angesprochenen nicht verstanden wird.

Dienstag, 18. März 2014

Geschichten vorlesen

Nach einer Twitterunterhaltung der @kischtrine und des @tomww begann ich darüber nachzudenken, wie man das Geschichtenvorlesen digitalisieren könnte. Das schöne am Vorlesen ist eigentlich das Persönliche, das ist auch genau das, was beruhigt und berührt. Insofern macht es wenig Sinn, die Geschichten einfach einzulesen und in Form von Hörbüchern auf den Markt zu hauen. Viel schöner fände ich, diese Geschichten speziell für bestimmte Menschen einzusprechen und diese zu teilen.

Man könnte persönliche Botschaften verteilen und der angesprochene Mensch hätte noch einen Seelenstreichler. Wenn nicht das, so ist es wenigstens das Gefühl der Gemeinsamkeit. Der Gedanke gefällt mir und ich glaube, ich werde bald damit anfangen. Genügend Bücher mit Kurzgeschichten, Märchen, Gedichten und sonstigem habe ich. Die eine oder andere Person hat auch ihren eigenen Text. Wer sagt eigentlich, dass das Vorlesen im Erwachsenenalter keine Rolle mehr spielt.
Es gibt so wahnsinnig viele liebenswerte Menschen und viele von ihnen haben irgendwann einmal geäußert, dass sie das Vorlesen schätzen - und alle haben es verdient.

Mir gefällt der Gedanke und ich glaube, das ist ein guter Vorsatz für das Jahr 2014 - wer braucht schon Neujahrsvorsätze.

Montag, 17. März 2014

Prozesse auf der Krim

Bei einigen aktuellen Prozessen kommt mir das Gruseln (und dabei möchte ich keine der agierenden Seiten ausschließen; die sprichwörtlichen Säbel rasseln gerade überall). Zum Konzept der Nation möchte ich mich hier nur kurz äußern. Ich halte den Besitzanspruch von künstlichen Gebilden wie Staaten auf Land, Tiere oder Menschen für absurd (genaueres an anderer Stelle) und die "Natürlichkeit" der Reaktionen dieser Gebilde erst recht, aber darum soll es hier nicht gehen. Viel seltsamer finde ich die aktuellen Reaktionen auf die Aktionen von russischer Seite.

Die Krim hat aufgrund ihrer geostrategisch günstigen Position im Schwarzen Meer eine Sonderrolle, die historisch gewachsen ist. Aufgrund dieser Position war die Krim immer wieder unter unterschiedlichem Protektorat oder Herrschaft.
Zu Sowjetzeiten gehörte sie zur Sowjetunion und unter Stalin wurden sämtliche ethnischen Minderheiten von der Krim deportiert. Mit der ukrainischen Unabhängigkeit wurde die Krim zur autonomen Republik unter ukrainischer Verwaltung erklärt. Die Krimtataren durften später wieder zurückkommen, auch wenn sich die Lebensrealität dieser ethnischen Minderheit schwierig und kompliziert gestaltete und bis heute gestaltet.
Einen weiteren Sonderstatus, innerhalb der Krim hat Sewastopol, in dessen Hafen die russische Schwarzmeerflotte liegt und deren Bevölkerung fast ausschließlich russisch ist. Unter Janukowitsch wurde der Pachtvertrag über die Schwarzmeerflotte im Gegenzug zu ermäßigten Gaslieferung an die Ukraine bis 2047 verlängert (die Sinnhaftigkeit von Verträgen derartiger Länge sei dahingestellt).

Letztendlich sind die argumentativen Stützen von allen Beteiligten (Schutz der ethnischen Minderheiten, Menschenrechte, Schutz der Demokratie) recht vage vorgeschoben. Die Geschichte mit Vertreibung, Wiederkehr, Repression und Unterdrückung ist grausig, die Aussichten unter erneutem Herrschaftswechsel für die ethnischen Minderheiten nicht gerade rosig. Was es in vielen Fällen bedeutet, wenn eine Region unter russischem Protektorat steht, lässt sich an Beispielen im Kaukasus ablesen.

Dennoch, so sehr ich mir einen anderen Ausgang wünschte - auch darum geht es hier nicht wirklich. Die Krim ist primär von Menschen mit russischem Pass besiedelt und Russisch ist die Sprache, die von der Mehrheit gesprochen wird. Das Argument von russischer Seite aus, die "ethnischen Russen" auf der Krim schützen zu wollen, ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen.
Ich finde auch die Art, wie Einfluss gesichert und "ethnische Russen" geschützt werden sollen für höchst fragwürdig. Die Krim ist nicht die erste Region, in die nicht gekennzeichnete Panzer einrollen und wird sicher nicht die letzte sein.
Ich finde es merkwürdig, in welcher Form verschiedenen Regionen der Welt unterschiedliche Aufmerksamkeit in unseren Medien geschenkt wird. Dies wird besonders an geostrategisch wichtigen Regionen wie der Krim oder dem Kaukasus sichtbar. Interessant ist auch, welche Regionen kaum Erwähnung finden (Unruhen in Zentralasien sind dafür ein Beispiel).

Die Polemik Amerika dabei als alleinigen Aggressor mit der alleinigen Motivation der Erdgas-/Erdölgewinnung zu nennen, ist dennoch unzulässig vereinfacht. Die Theorie, dass die Proteste in der Ukraine ausschließlich von amerikanischen Dollars bezahlt wurden kommen der Verschwörungstheorie recht nah und negieren zusätzlich jede Gültigkeit des demokratischen Prozesses. Die Sache gestaltet sich einfach wesentlich komplizierte

Allerdings bleiben dennoch einige Fragen offen:
Wieso wird den Prozessen auf der Krim so massive Aufmerksamkeit geschenkt, wohingegen die Unruhen in Kyrgyzstan oder Tajikistan kaum in den Nachrichten erwähnt wurden? Wieso hat sich jahrelang kaum jemand dafür interessiert, wie die krimtatarische Minderheit ihr Leben gestalten kann und daran gehindert wird und auf einmal sind Menschenrechte und Demokratie auf der Krim so wichtig? Wieso wird das Einrollen von Panzern zwar kritisch beäugt, aber erst ein Referendum als völkerrechtswidrig bezeichnet und zieht tiefgreifende politische Konsequenzen nach sich?

Ja, das ist der Hauptpunkt der mich gerade massiv irritiert. Wenn Panzer rollen, ist man allenfalls "deeply concerned". Dann lässt man die Bevölkerung abstimmen und die Abstimmung ist völkerrechtswidrig??? Das muss mir bitte mal jemand erklären. Unabhängig, wie ich zu den Entwicklungen stehe - ich bin sicher nicht Putins größter Fan - aber diese Logik verstehe ich nicht.

Mittwoch, 12. März 2014

Zusammenstöße mit der Realität

Social Media ist manchmal wirklich amüsant. Da vernahm ich einen vielgeteilten Link über die wahren Hintergründe der Unruhen in der Ukraine... Die letzten vier Worte können beliebig ausgetauscht werden, denn die Realität ist überall dieselbe.

Das Zentrum des Bösen befindet sich genau da, wo einst die Achse des Bösen definiert wurde. Dabei ist nicht nur die Realität jedesmal dieselbe, sondern auch die Argumentation - und die überzeugt (zumindest bei flüchtigem Anschauen). Die Motivation, Unruhen anzuzetteln sind immer dieselben: Geld, Macht, Öl und Gas. Menschenrechte und Demokratie sind dabei nur Argumentationshilfen des heimlichen Aggressors. Soweit lässt sich das tatsächlich nachvollziehen und ist sicherlich nicht komplett falsch. Dass auch andere Parteien dieser Konflikte geostrategische Interessen haben könnten wird dabei geflissentlich unter den Tisch gekehrt. Es geht doch wirklich nichts über ein klares Feindbild!

Interessant ist auch immer wieder, welcher Vermittlungsweg für welche Art von Botschaft gewählt wird. Klare Botschaften mit klaren Feindbildern wählen meist die Form von gesprochener, emotionsgeladener Sprache und Bild. Überzeugt mit gelungender Intonation wesentlich schneller und wesentlich mehr Leute als ein geschriebener Text oder nüchterne Analysen.

Aber vielleicht ist ja auch alles ganz anders und wir werden von dem Programm weißer Mäuse gesteuert...

Sonntag, 9. März 2014

Sehenswert: Alphabet

Ein Film von Erwin Wagenhofer, der sehr berührt und nachhaltig aufwühlt. Eines der Charakteristika von Wagenhofers Filmen ist, dass die Szenenauswahl und Kameraeinstellung der einzige Kommentar ist und genau das trifft tief. Der vielleicht bekannteste seiner Filme ist We Feed the World - auch Alphabet ist großartig.

Die grundlegende Debatte des Filmes behandelt die Qualität von Ausbildung und stellt dahingehend auf globaler und lokaler Ebene verschiedene Positionen zum Diskurs. Zu Beginn kommen verschiedene Stimmen zu Wort, die das Streben nach Aufstieg, wie auch den Erfolgsdruck in verschiedenen Schulsystemen behandeln. Es kommen sowohl Befürworter, als auch Kritiker zu Wort, wobei die Auswahl der Szenen, wie auch Kommentare und Kameraeinstellungen eine klare Sprache sprechen.

Die Kernthesen des Filmes könnte ich sofort unterschreiben und sind auch einige der Punkte, die in jeder Diskussion zum Thema Bildung und Ausbildung angebracht werden. Eine dieser Thesen ist, dass das beständige Streben nach Aufstieg eine Entwicklungsbremse ist, da Erfolgsdruck den Mut zum Fehlschlag ausbremst. Kreativität und nicht zielgerichtetes Probieren hat keinen Platz. Auch das Miteinander hat kaum noch Raum in einer Erfolgsgerichteten Gesellschaft, in der das Miteinander hauptsächlich dem individuellen Erfolg dient. Die Hauptthese ist das Ergebnis einer Forschung, nach welcher zu Beginn des Lebens 92% der Menschen hochbegabt seien, nach erfolgreicher Absolvierung eines Ausbildungsprozesses seien es nur noch 2%.

Die Szenen des Filmes stellen nicht nur das Bildungssystem und die Gesellschaftsform mit ihrem primären Fokus auf "Erfolg" in Frage, sondern dokumentieren sehr konkret Auswirkungen auf die menschliche Psyche und stellen einige Gegenmodelle zur Diskussion. Es geht dabei ganz klar nicht um eine absolute Verteufelung von Bildungsinstitutionen, sondern um eine Abkehr vom Leistungsprinzip.

Ein Zitat muss meiner Meinung nach besonders hervorgehoben werden und soll hier als Schlusswort des Filmes stehen:
Die Verkürzung des Lebens auf die Ökonomie
 ist das Schlimmste, was wir unseren Kindern antun können.