Donnerstag, 13. Juni 2013

LGBT in Europa

Im Zuge der aktuellen Entwicklungen (Proteste in Frankreich zur neuen Ehegesetzgebung, neue Gesetzgebungen in Russland gegen "Homosexuellen-Propaganda") habe ich mich mal etwas schlau gemacht, wie es denn mit diesbezüglichen Menschenrechten in Europa aussieht. Das Ergebnis war einigermaßen schockierend!

Man sollte glauben, ernsthafte Probleme gäbe es hier kaum noch. Wir leben in einem Land, in dem es kaum jemanden ernsthaft interessiert, dass unser Außenminister schwul ist, in dem sich kaum jemand am CSD stört und auf den ersten Blick scheint überhaupt kaum jemand daran zu zweifeln, dass das Liebesleben eines Menschen seine Privatsache ist. Zwar ist die Sachlage andernorts noch wesentlich gravierender, aber das ist kein Argument, sich mit einer immer noch nicht zufriedenstellenden Situation in Deutschland und Europa abzufinden.
Mir war zwar klar, dass es diesbezügliche Ignoranz gibt und dass viele Gesellschaftsteile längst nicht so offen denken wie mein persönlicher Bekanntenkreis, aber die Ergebnisse der Studie der EU  Grundrechte-Agentur (FRA) haben mich dann doch schockiert. Mal wieder ein Beleg dafür, dass die eigene Wahrnehmung nicht unbedingt die Realität widerspiegelt... In dem Fall sehr schade und ein klassischer Fall für Fremdscham!

Wie kann es sein, dass Minderheiten (an der Stelle halte ich es für völlig irrelevant um welche Minderheiten es sich handelt) um Gewalt und Anfeindungen rechnen müssen? Wie kann es sein, dass so viele Menschen wegschauen und dass homophobe Äußerungen häufig kein klares NEIN bekommen? Ich finde den Gedanken, dass über die Hälfte der in dieser Studie befragten Menschen bereits klar diskriminierende Erfahrungen gemacht haben gruselig! Es macht mir Angst, in einer solchen Gesellschaft zu leben und erfüllt mich mit Scham.


Die Problematik hat zwei Dimensionen: neben dem rechtlichen Aspekt ist die Lebensrealität von großer Relevanz. Eine Korrelation zwischen Gesetz und gelebter Gleichstellung wurde im Gleichstellungsindex der ILGA festgestellt. Dennoch bedeutet geltendes Recht im Umkehrschluss nicht zwangsläufig auch die konsequente Anwendung in der Lebensrealität. Dafür muss die Rechtssprechung auch gesellschaftlich anerkannt sein. Auf der anderen Seite steht natürlich die Problematik, dass ohne geltendes Recht die Wahrscheinlichkeit auf eine gesellschaftliche Anerkennung von Lebensentwürfen jenseits der Heteronormativität sinkt. Wenn selbst strukturell keine Legitimation besteht, wie soll man denn erwarten, dass die gesellschaftliche Masse dieses Unrecht erkennt? Natürlich kann man immer geltendes Recht in Frage stellen und diskutieren. Aber diese Fragen zu stellen und Debatten loszutreten, kostet Kraft und Mut. Diese Ressourcen kann und will nicht jeder aufbringen. Auch deshalb ist es wichtig, auf staatlicher Seite durch klare Gesetzestexte ein Zeichen für Menschenrechte zu setzen und dies auch in der Verfassung zu verankern.


Interessant ist an der Stelle aber nicht nur der Zusammenhang zwischen Gesetz und gelebter Realität, sondern auch die Gesetzgebungen in Europa an sich. Die gute Nachricht: Es gibt Antidiskriminierungsrichtlinien, nach welcher die EU-Staaten verpflichtet sind, diese in ihrer staatlichen Gesetzgebung zu verankern. Seit 2004 sind diese Richtlinien auch auf das Leben außerhalb der Arbeitswelt ausgeweitet. Der Wikipedia-Artikel zum Thema enthält eine große Infografik.  Auch wenn der Artikel Informationen zur Situation weltweit enthält, werde ich mich hier nur auf Europa beziehen. Ich glaube auch nicht, dass dies mein letzter Blogpost zum Thema ist.
Die Informationen, wann welches Land die Strafverfolgung von Homosexuellen eingestellt hat, oder auch niemals unter Strafe stellte, waren für mich teilweise sehr überraschend:  Frankreich hat bereits 1791 die Kriminalisierung von Homosexualität aufgehoben, Polen und andere haben in den 30er Jahren nachzogen und in der Türkei (und osmanischem Reich) wie auch Italien (Faschismus ausgenommen) gab es noch nie ein explizites Verbot. (Allerdings ist auch ein Nicht-Thematisieren ein möglicher Ansatzpunkt für kontroverse Diskussionen.) Die Informationen können hier nachgelesen werden.
Dem steht gegenüber, dass es in folgenden Staaten keine rechtliche Legitimation von homosexuellen Partnerschaften gibt: Bulgarien, Estland, Griechenland, Italien(die Registrierung hat keinen rechtlichen Wert), Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Türkei & Ukraine (in den letzten beiden gibt es auch keine Antidiskriminierungsgesetze).

Zu diesen Diskrepanzen strukturelle Bedingungen, die Diskriminierungen und Ausgrenzung begünstigen. So ist zwar Diskriminierung aufgrund von religiösen Anschauungen oder Lebensform theoretisch per Gesetz verboten, allerdings kann ein kirchlicher Arbeitgeber seine Mitarbeiter kündigen, wenn sie aus der Kirche austreten oder ein Leben führen, das nicht mit dem entsprechenden Weltbild zusammenpasst. Einer dieser Fälle ist hier nachzuhören. Beiträge zur Debatte über das Sonderarbeitsrecht der Kirche sind unter anderem auch hier oder hier nachzulesen.

Sehr schön und spannend fand ich die Beiträge der Bundeszentrale für politische Bildung, die zum internationalen Tag gegen Homophobie (17. Mai) dem Thema ein ganzes Dossier gewidmet hat. Unter anderem wird dabei ein weiteres Problem thematisiert: unreflektiert weitergetragene Äußerungen, auch in der Popkultur. Solange abschätzige Äußerungen über Menschen mit queerem Hintergrund zum Alltag gehören und Wörter wie "schwul" oder "Transe" als Schimpfwort benutzt werden können, sind wir von einer gelebten Inklusion sehr weit entfernt. Auch mir gelingt es nicht immer, jedes Wort zu reflektieren. Dennoch: einige Redewendungen haben Konnotationen, dass sich einem der Magen umdreht. Auch wenn es manchmal schwierig ist, bewusst zu kommunizieren und bestimmte Begrifflichkeiten in bestimmten Kontexten einfach zu streichen: Es lohnt sich und ist genau das, was jeder einzelne von uns tun kann. Augen auf und Hirn an!

Interessant fand ich auch den Beitrag der bpb über Muslime und LGBT. Es handelt sich um einen Bericht von zwei Männern, die Aufklärungsarbeit an Schulen leisten. Besonders schön war, dass dort die Frage nach Praktiken der Identifikation aufgeworfen wird. Dass sich Gruppen bilden und bestimmte identifikatorische Merkmale haben ist ziemlich normal. Die Frage ist nur, ob diese zwangsläufig exklusiv sein müssen - also andere Menschen ausschließen. Es ist auch möglich inklusive Gruppendefinitionen zu finden. Auch eine solche Arbeit ist dringend notwendig, um zu mehr Tolleranz und Mitmenschlichkeit zu finden.

Diese Ausführungen können nur einen kleinen Teil der Thematik widergeben und die Links sind auch nur ein kleiner Teil des Materials, was ich mir durchgelesen habe. Dennoch wird gut ersichtlich, dass es noch viel Arbeit in Europa und Deutschland gibt.


Quellen im Netz:

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