Sandra Höhne:
[...] Drei Fragen hab ich noch als Denkanstoß, über die ich so gerne diskutieren würde:
1. Berthold Brecht schreibt in seiner "Kinderhymne" von 1950 (Gegenentwurf zur deutschen Nationalhymne): "Und weil wir dies Land verbessern, lieben und beschirmen wir's." Meint er damit den Staat als Verwaltungsapparat? Immerhin können wir daran durch Wahlen und politische Engagement einfluss nehmen. Oder ist eine Liebe zum Staat noch abwegiger als Nationalstolz?
2. War die deutsche Teilung auch deshalb so schmerzhaft, weil sie eine Nation geteilt hat? Oder wurden vor allem die Repressalien in der DDR als negativ empfunden? Könnten heute ohne Probleme zwei demokratische deutsche Staaten koexistieren?
3. In Belgien wird immer mal wieder die Regierung lahmgelegt, weil die beiden Volksgruppen sich nicht auf eine gemeinsame Führung einigen können. Es wird sogar ein Zerbrechen des Staates nicht ausgeschlossen. Ist das Quatsch, was die da machen? Ist es Quatsch, in "Völker" einzuteilen? Wie bewertet man dann z.B. die baskische Unabhängigkeitsbewegung?
Ich habe das Gefühl, das Thema erst angeschnitten zu haben.
@Sandra, über den Begriff der Nation habe ich schon seit längerem vor, einen ausführlichen Blogpost zu schreiben. Ich stehe dem ganzen relativ kritisch gegenüber. Ganz unabhängig von meiner Position hat dieses Konstrukt jedoch leider sehr bittere und sehr reale Auswirkungen. Aber das ganze ist derart komplex, dass ich mich immer wieder in meinen eigenen Gedanken verheddere - wird wohl noch etwas dauern bis ich da einen ausgereiften Standpunkt finde, der auch schlüssig argumentiert werden kann.
Zu deinen Fragen:
1. Eine gute Frage, was Bert Brecht wohl meinte, ob er den Begriff der Nation oder des Staates an der Stelle in Frage gestellt hat oder nicht. Wenn ich allerdings davon ausgehe, dass ein Land mit seinen geografischen Grenzen gemeint ist (unabhängig von politischen Interpretationen) und diesem höchstens eine Verwaltungseinheit zur Seite Stelle, um damit "arbeiten" zu können, halte ich die Liebe zu diesem Land (Landschaften etc.) für überhaupt nicht abwegig; Stolz allerdings schon. Interpretiere ich das Land aber als Nation und Staat dann beginne ich mich zu fragen, was daran ich liebe und warum. Dennoch ist die Liebe zu etwas was man selbst nicht beeinflusst hat für mich irgendwie verständlicher als der Stolz auf etwas, was völlig abseits der eignen Person steht.
2. Puh, dünnes Eis... Ich glaube tatsächlich, dass die Trennung Deutschlands vor allem deshalb so schmerzhaft war, weil sie zum einen von außen kam und in ihrer Wirkung die Kommunikation zwischen den Menschen verhindert hat. Damit wurde einer rationalen Lösung etwas emotionales hinzugefügt, was extrem gefährlich ist. Wenn ich den Staat an sich nicht in Frage stelle - es können immer verschiedene demokratische Staaten nebeneinander koexistieren. Die Frage ist, wann jemand auf die Idee kommt in einem nationalisierenden Gedanken die Einheit des "Volkes" und des Bodens zu proklamieren; denn dann wird es kritisch.
3. Eines der riesigen Probleme des Nationsbegriff ist, dass jede Nation nur eine Titularnation sein kann und aufgrund gesellschaftlicher Realitäten verschiedene Ethnien in sich vereint. Ich glaube die meisten ethnischen Konflikte innerhalb von Staaten sind von dem Wunsch auf Anerkennung, Souveränität und Angst vor dem Verlust derselben geprägt. Diese Punkte beinhalten verdammt viele Unterpunkte - unter anderem politische Macht, Wirtschaft und Verwaltungshoheit - die wiederum ineinander verstrickt sind. Nation ist dabei ein dankbares Konzept, in was das alles reingepresst werden kann um mit all diesen Dingen umgehen zu können ohne komplett den Kopf zu verlieren. Leider ist dieses Konzept nicht nur dankbar und praktisch, sondern auch gefährlich, da in diese Komplexität alles mögliche an Emotionen einfließen lässt und hineingelegt werden kann. Dieser kaum noch auseinanderzuhaltende Wust an Emotionen lässt sich nun sehr leicht benutzen, um die Mitglieder einer "Nation" gegen einen potentiellen Feind aufzuwiegeln; Angst und Hass zu schüren.
Ich glaube nicht, dass man dieses Thema komplett ausdiskutieren kann - es ist einfach verdammt komplex. Dennoch halte ich es für wichtig, diese tradierten Konstrukte immer mal wieder zu entstauben und in Frage zu stellen, was damit überhaupt noch gemeint ist, warum wir so sehr daran gewöhnt sind und welche Folgen sie haben können.
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