Ich verstehe nicht, was alle zwei bis vier Jahre im Zuge von Fußballmeisterschaften vor sich geht. Auf einmal rennen Unmengen von Menschen beflaggt durch die Gegend. Einige Gebiete sind kaum mehr betretbar, ohne dass einem von irgendwoher der Partynationalismus entgegenschwallt. Menschen rennen über die Straße und brüllen laut ihre Nationalität und wissen doch eigentlich gar nicht warum. Ich verstehe einfach nicht, was das soll.
Mein Problem beschreibt nicht etwa die Abneigung gegen eine bestimmte Flagge. Der hierzu über diverse Medien verbreitete Post geht meilenweit an der Grundthematik vorbei. Mein Problem ist das Konstrukt der Nation, mit dem sich Menschen massenweise identifizieren und unreflektiert die zugehörigen Fahnen schwingen.
Abgesehen davon, dass Gebiete administrativ voneinander getrennt werden und Symboliken entworfen werden, die sich sehr leicht als Wappen für Menschen und damit als Identifikationsmittel eignen - was ist denn eine Nation? Mein Problem ist auch nicht der Fußball, dem ich durchaus etwas abgewinnen kann. Mein Problem sind grölende Menschen, die mich mit Nationalfarben anmalen möchten (wirklich passiert), obwohl sie von Fußball nun wirklich gar nichts verstehen. Mein Problem ist, dass das Feiern um den Sieg in einem sportlichen Wettkampf in vollkommen unreflektierten Partynationalismus ausartet. Dabei ist es absolut irrelevant, welche Nation vertreten wird.
Wenn ich mir den Stolz auf irgendeine Nation anschaue werde ich einfach nicht schlau daraus, worauf man dan stolz sein kann. Man kann sich sicherlich glücklich schätzen, in einer bestimmten Region geboren und aufgewachsen zu sein, weil das unglaubliche Privilegien mit sich bringt. Man kann auch die Landschaft mögen bis lieben und sich wahnsinnig an seinem Daseinsort wohl fühlen. Aber was hat das mit Nation zu tun? Und was hat das mit Stolz zu tun? Wie kann ich auf etwas stolz sein, wofür ich doch gar nichts kann? Gibt es analog zum Fremdschämen auch einen Fremdstolz?
Auf Facebook hat jemand diese Schopenhauer-Zitat ausgegraben:
AntwortenLöschen"Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz.
Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt.
Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen."
-Arthur Schopenhauer
Ich würde sagen, das Fremdschämen besitzt mehr Reflektion: Man kann sich für den Fremdstolz der Nationalisten fremdschämen. Aber den Fremdstolzen wird wird es wohl nie in den Sinn kommen, sich auch mal fremdzuschämen.
Was soll Nationalstolz? Tolle Frage. Ich würd noch weitergehen und fragen: Was ist Nation? Brauchen wir das noch?
AntwortenLöschenVielleicht mal ein historischer Exkurs: Die Nation ist ja eigentlich eher eine linke Idee gewesen. Die stellte sich im 19. Jahrhundert gegen die damalige Herrschaftsstruktur. Die Französische Revolution z.B. ist ohne den Nationen-Gedanken nicht zu erklären, die viel beschworene "Brüderlichkeit" (wir denken uns die Schwesterlichkeit mit) meint ja ein Zusammengehörigkeitsgefühl auf der Basis einer gemeinsamen Sprache und Kultur. Aber Frankreich hatte es da auch einfacher, immerhin hatten sie schon recht lang ein einheitliches Staatsgebiet, das relativ deckungsgleich mit der Nation war. Ganz anders in Deutschland. Die Kleinstaaterei, also die Aufteilung des Gebietes in viele kleine und größere Staaten, Fürstentümer usw., wurde als sehr negativ und hinderlich betrachtet. Diese Einteilung war absolut willkürlich und hatte gar nichts mit den in diesen Gebieten lebenden Menschen zu tun, sondern lediglich mit den Machtverhältnissen der Herrscher. Menschen und Gebiete wurden so zur Verschiebemasse absolutistischer Machthaber.
In Deutschland haben sich liberale, linke Studenten aufgelehnt. Sie haben einen einheitlichen deutschen Nationalstaat gefordert, untern den Farben schwarz-rot-gold. Sie haben z.B. zum Hambacher Fest eingeladen und die Idee einer Deutschen Republik propagiert. Und wurden dafür verfolgt. Die schwarz-rot-goldene Nation hat also nichts mit Nazis zu tun, die haben im Gegenteil die Farben schwarz-weiß-rot wiederbelebt.
Ich finde aber, dass der Gedanke der Nation sich heute mehr und mehr auflöst. Vielleicht, weil er nicht mehr gebraucht wird? Heute gibt es doppelte Staatsbürgerschaften. Wir diskutieren ernsthaft über einen europäischen Bundesstaat. Und wir können indische Filme mit englischen Untertiteln im Internet ansehen. Eine Eingruppierung der Menschen in eine bestimmte Nation aufgrund der Sprache und Kultur ist in unserer Multi-Kulti-Gesellschaft wahrscheinlich bald eh nicht mehr möglich. Und das finde ich gut so.
Trotzdem und ganz unreflektiert halte ich zur deutschen Nationalmanschaft. Vielleicht ist mir das so antrainiert worden? Vielleicht bin ich einfach ein Mitläufer? Ich kanns nicht sagen. Vielleicht ist Sport noch einer der letzten Austragungsorte für den Kampf der Nationen. Immerhin sind es ja Nationalmannschaften. Und keine Staatsmanschaften (siehe England, Schottland, Wales...) Sollte man sich also doch lieber für eine Weltmeisterschaft der Fußballclubs einsetzen? (Dann gewinnen aber immer die Reichen).
Drei Fragen hab ich noch als Denkanstoß, über die ich so gerne diskutieren würde:
1. Berthold Brecht schreibt in seiner "Kinderhymne" von 1950 (Gegenentwurf zur deutschen Nationalhymne): "Und weil wir dies Land verbessern, lieben und beschirmen wir's." Meint er damit den Staat als Verwaltungsapparat? Immerhin können wir daran durch Wahlen und politische Engagement einfluss nehmen. Oder ist eine Liebe zum Staat noch abwegiger als Nationalstolz?
2. War die deutsche Teilung auch deshalb so schmerzhaft, weil sie eine Nation geteilt hat? Oder wurden vor allem die Repressalien in der DDR als negativ empfunden? Könnten heute ohne Probleme zwei demokratische deutsche Staaten koexistieren?
3. In Belgien wird immer mal wieder die Regierung lahmgelegt, weil die beiden Volksgruppen sich nicht auf eine gemeinsame Führung einigen können. Es wird sogar ein Zerbrechen des Staates nicht ausgeschlossen. Ist das Quatsch, was die da machen? Ist es Quatsch, in "Völker" einzuteilen? Wie bewertet man dann z.B. die baskische Unabhängigkeitsbewegung?
Ich habe das Gefühl, das Thema erst angeschnitten zu haben.
Danke :)
AntwortenLöschen@Regine, ja da lässt sich kaum etwas zu sagen - das steht für sich und sollte fettgedruckt so stehenbleiben!
@Sandra, ich habe meine Antwort gerade in einen neuen Blogpost (http://corn-natter.blogspot.ch/2014/07/die-diskussion-zur-nation-klappe-die.html) gefasst - das war mir für den Thread dann doch etwas zu komplex. Aber auch hier konnte ich nur anschneiden.
Danke auf jeden Fall für den Input :)