Scheitern ist sozial unglaublich negativ belegt und man traut sich kaum, über sein eigenes Scheitern zu sprechen. Wenn ich allerdings meine zarten 30 Lenze zurückdenke, fällt mir Einiges ein, was die Thematik unglaublich attraktiv macht - zumindest für mich und in meinem Leben.
Für euch werde ich hier mal zwei Beispiele bringen, die mich in meinem Leben unglaublich beeinflusst haben und erst auf den zweiten Blick ihr eigentliches Potenzial entfalten.
1. Wie jetzt ich kann nicht studieren, was ich will?
Während meiner Schulzeit hab ich mich immer sehr für Psychologie interessiert. Ich fand es zum Einen spannend, wie Menschen ticken, zum anderen hätte ich so viele Dinge in meinem eigenen Umfeld so gern besser verstanden. Wenn ich jetzt ehrlich zu mir selbst bin, hätte ich vor allem gern mich selbst gern besser verstanden. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet war es ein ziemliches Glück, den NC für Psychologie nicht knacken zu können.
- Mit Psychologie hätte ich immer wieder versucht mich selbst und mein Umfeld zu analysieren und hätte damit vermutlich immer wieder ne mittelschwere Krise bekommen
- Die Grundlage eines Psychologiestudiums liegt in Statistik - viel Statistik. Dinge, für die ich zu der Zeit echt nicht bereit gewesen wäre.
- Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich wirklich mit diesem Fach hätte anfangen wollen.
Nun: Ich hab ehrlich gesagt auch nicht gewusst, was ich damit anfangen soll, aber ich dachte, es wird schon interessant werden.
Das ist einer der Hauptpunkte von der Lust am Scheitern! Wäre ich damals nicht am Psychologie-NC gescheitert, hätte ich folgende Erlebnisse und Erkenntnisse NIEMALS gesammelt:
- Vermutlich wäre ich mit Psychologie nicht in Tübingen gelandet. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für tolle Menschen, ich da kennengelernt hab - und um jeden einzelnen bin ich froh!
- Ohne Ethnologie in Tübingen hätte ich vermutlich auch niemals den Mut aufgebracht, die russische Sprache zu erlernen und meine erste Feldforschung auf der Krim zu unternehmen. Diese Erfahrung hat mich wahnsinnig geprägt. Zum Einen habe ich dadurch mein Sprachkenntnisse endlich anwenden können, zum anderen hab ich gemerkt, wie viel Spaß die ethnologische Arbeit macht (wenn auch einigermaßen anstrengend)
- Diese erste Erfahrung führte zu meiner Magisterforschung in Kyrgyzstan. Der sommerliche (ungewöhnliche) Regen führte dazu, dass ich mein ursprüngliches Thema nicht bearbeiten konnte. Aus dieser Erfahrung des (fachlich-thematische) Scheiterns heraus konnte ich einen Umgang mit solchen Situationen entwickeln und ein völlig neues Thema hat sich herauskristallisiert: die indigene Bedeutung von Wasser. Dieses Thema, vor allem mit den Ausprägungen in Ritual und Religion, war unerwartet und unglaublich spannend.
2. Wie jetzt, hier hat niemand Arbeit für mich?
Das zweite Beispiel ist noch gar nicht so lang her und eigentlich noch nicht einmal abgeschlossen. Da kommt Eins frisch von der Uni - btw, ein guter Abschluss in Ethnologie und Ostslavisitk - und sucht vollkommen euphorisch nach dem Traumjob. Man hat sich ja gut und gezielt qualifiziert, kann an Fähigkeiten einiges bieten und qualifiziert sich auch noch mit Freude weiter (Projektmanagement).
Stück für Stück erfährt man, dass man auf dem Arbeitsmarkt einfach keinen Platz hat: zu jung, zu alt, zu wenig Praxis, zu wenig religiös (das ist kein!!! Scherz). Von der Arbeit, die ich doch noch in meinem Fach bekommen hätte, wäre mir das Überleben leider nicht möglich gewesen.
Nun hatte ich aber unglaublich viel Zeit am Tag, die verbraten werden wollte. Also fange ich an, Französich zu lernen, Kontakte über Twitter und Barcamps zu suchen, lerne so ein paar Grundlagen absolut anderer Dinge und bewerbe mich auch außerhalb des Faches (deutlich außerhalb).
Das Resultat dabei sind Ideen, die aktuell noch am gären sind, tolle Ideen und ein bischen Ruhe (da zumindest endlich mal ein Job da ist). Eins der bislang konkretesten und faszinierendsten Resultate dieses Scheiterns ist ein Barcamp, was ich mit wirklich sagenhaften Menschen mitorganisieren darf: die Odyssey of Failure.
Was ansonsten aus dieser Zeit noch erstehen wird, wird sich zeigen - wie gesagt, das ist alles noch nicht abgeschlossen.
Was ich eigentlich mit diesem ganzen Blogpost sagen will: es gibt eine Menge Dinge, die schief gehen können. Manchmal passt die ursprüngliche Planung noch nicht einmal damit zusammen, was Eins leisten kann und will. Aber selbst wenn die eigentliche Planung nach einiger Erfahrung eigentlich zu passen scheint, ist der Prozess des Scheiterns und vor allem seine Resultate unglaublich spannend! Was spontane Änderungen des eigenen Lebens bringen, ist zwar unklar, bringt aber Spannung in die Angelegenheit. Angenehm ist das Ganze natürlich nicht und auch ich hätte teilweise heulen können aber diesen Prozess im eigenen Leben zu beobachten ist:
Lust am Scheitern!
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